Nach unserem Schmelzpfandlessen in Terenten, es wurde schon Abend, stiegen wir in unser Auto, schoben die „Manfred Manns Earth Band“-Kassette in den Kassettenschacht unseres Radios, drehten auf und fuhren zurück in Richtung unserer heimischen Gefilde.
Nachdem wir rund 20 Sekunden unterwegs waren, sagte das jüngste Schnurzel in seinem Babysitz sinngemäß: „Ich habe Hunger und möchte etwas essen.“ Akkustisch untermalt wurde dieses Ansinnen mit deutlichem Rotz-und-Wasser-Geheule, was von den älteren Geschwistern mit Ohrenzuhalten und der Mitteilung: „Mama, das Baby weint!“, gekontert wurde. Diplomatisch teilten wir mit: „Wir sind bald zu Hause."
Nach weiteren sechzig Sekunden spitzte sich die Situation auf den hinteren Reihen zu, die Jugend fand zu einem gemeinsamen Protestthema und skandierte abwechselnd: „Ich will nach Hause!“ und „Wir haben Hunger!“, weiterhin akkustisch unterstützt vom Heulen des Babys.
Wir demonstrierten Entschlossenheit und fuhren weiter. Das Rotz-und-Wasser-Heulen gewann eine Zweidrittelmehrheit in der hinteren Fraktion. Nun sahen wir uns genötigt, ein Exempel zu statuieren, damit die schwelende Revoulution in ihren Anfängen erstickt wurde. Wir hielten an der nächsten Raststätte an und schlossen das Baby an seine mobile Dockingstation an. Der verheulte Rest gierte in die hell erleuchteten Schaufenster der Raststätte. Wir sagten: „Die haben schon geschlossen.“ Doch die Kinder waren schon von den Rücksitzen geflohen und klebten mit den Nasen an der gläsernen Front, die mayonnaisebeschmierte Fitnessstangerln, analogkäsebesetzte Joghurtbrötchen mit Pressspeck und fettige, kalte Pizzaquader anpries. Ich sagte: „Wir sind bald zu Hause, da gibt es Abendessen. Wir brauchen nichts kaufen", und erstand zwei Stücke kalte Pizzasimulation und zwei gummiartige Brötchenimitate. Ich bemerkte, dass ich der schlagenden Verbindung von Konsumterror auf Raststätten mit kindlicher Quengelei hilflos unterlag. Das Brötchenimitat fand seinen Weg in meinen Magen, wo es aufquoll und bis zum nächsten Morgen sesshaft wurde.
Wir starteten. Die hintere Fraktion war glutamatbesänftig eingenickt, Ruhe breitete sich im Auto aus. Meine Gefärtin riet: „Schalt das Licht ein, es dämmert schon.“ Ich schaltete das Licht ein. Nichts geschah. Finsternis umgab uns.
Der linke Scheinwerfer unseres Autos hatte vor einigen Wochen seine Funktion eingebüßt, worauf wir beschlossen, ihn sogleich austauschen zu lassen. Es fuhr sich gut mit nur einem Licht. Nun war auch der Zweite hin. Ohne Licht fuhr es sich schon schlechter. Die hintere Fraktion schnarchte. Mit dem letzten Tageslicht kroch unser Auto über holprige Schleichwege bis zum Brixener Bahnhof.
Am Schalter des Brixener Bahnhofs sagte die Ticketverkäuferin: „Der nächste Zug fährt in einer halben Stunde. In zehn Minuten fährt ein Bus.“ Wir gingen an die Bushaltestelle, wir warteten, wir packten das Gepäck in den Kofferraum des Busses, zogen eine Fahrkarte für alle und stellten fest, das unser Barkapital nur für vier reichte. Wir lernten: Im Bus kann man nicht mit der Kreditkarte bezahlen. Ich sagte: „Lasst mich zurück, ohne mich könnt ihr es schaffen.“ Der Busfahrer sagte: „Ich kann ihr Ticket nicht zurückbuchen. Sie müssen das bezahlen.“ Was meine Gefährtin, von der Gesamtsituation schon ein wenig angegriffen, darauf antwortete, lässt sich hier nicht wiedergeben. Der Busfahrer ergriff die Flucht und ließ uns zurück. Wir warteten auf den Zug.
Am nächsten Morgen forderte das Raststättenerlebnisessen auf der Toilette seinen Tribut. Doch Rache ist Suppe, im heimischen Haushalt hatte ich die Ernährung meiner Kinder wieder in meiner Hand. Ich erstand beim Metzger zwei schöne Rindsbeinscheiben, wovon ich eine bei geringer Hitze in etwas Butter anbriet. Schnitt Zwiebeln, Knoblauch und Speck in Würfel, gab Thymian, Lorbeerblatt und Majoran dazu, wendete die Beinscheibe. Schnitt breite, grüne Bohnen in Würfel und auch zwei Kartoffeln sowie etwas Steckrübe, Karotte und Lauch. Das ging alles mit in den Topf. Die Hitze wurde erhöht und das Gemüse ein wenig vermengt. Dann kam tiefgefrorener Suppenfond dazu und Wasser und Salz und Pfeffer. Das ließ ich ungefähr eine dreiviertel Stunde köcheln und zum Schluss gab ich noch einen Schlag gehackte Petersilie mit dazu.
Mein ältester Sohn sagte diplomatisch: „Suppe...“, meine Tochter stimmte ihm weniger diplomatisch zu: „Das ich mag nein.“ Das Schnurzel schlief.
Am nächsten Tag setzte ich den Kampf fort. Ermutigt vom vorhergegangenen Erfolg setzte ich folgendes Rezept um:
- 100 g Speckwürfel
- 1 Zwiebel
- nicht zu wenig und nicht zuviel Knoblauch
wurden gewürfelt und in etwas Olivenöl angeschwitzt.
- 300 g Kartoffeln
- 250 g Möhren
- 150 g Lauch
wurden zugeputzt und erbsengroß gewürfelt. Beim Lauch zählt dabei nur die Fläche, bei Möhre und Kartoffel auch die Tiefe. Ging alles mit in den Topf, ebenso 5 Pfefferkörner, 1 Lorbeerblatt, 2 Nelken und 2 EL gehackte Petersilie. Das alles ließ ich ein wenig schmurgeln, goss
- 1800 ml Suppenfond dazu
und gab
- 1 Beinscheibe vom Rind hinein,
kochte das auf und streute
- 150 g Linsen
ein. Das kochte wieder 45 Minuten. Dann angelte ich die Beinscheibe heraus, schnitt sie klein und gab sie wieder in die Suppe, schmeckte sie ab und kochte sie nochmals ordentlich durch.
Mein Ältester sagte: „Schon wieder Suppe?“ Meine Tochter schloss sich ihm an: „Das ich mag nein.“
Doch ich will euch nicht mit zuvielen Details belasten. Zusammen mit der Graukäse- und Rotkohlsuppe aßen wir sechs Tage lang Suppe. Damit war der Gerechtigkeit Genüge getan.
4 Kommentare:
Und irgendwann haben die Kinder Verständnis für so gute Sachen. Nicht aufgeben. Ich kenn das aus eigener Erfahrung!
Ich war als Kind auch nicht für Bohnensuppen. Das war immer so umständlich zu essen, kleckern is nich, meistens war sie zu heiß und Kinder haben nie Zeit zum pusten... :)
Und was lernt mann aus der Geschichte?
Wie man Linsensuppe kocht ;)
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